Tragverhalten eines CFK-vorgespannten Bahnbrückenprototyps

Von |

Link to English version: Structural Testing of a CFRP-Prestressed Railway Bridge Prototype


Nach meinem letzten Blogbeitrag zur Herstellung des ersten CFK-vorgespannten Eisenbahnbrückenprototyps der Schweiz war das Projekt «Prototyp» für mich eigentlich abgeschlossen und ich habe mich darauf gefreut, mal wieder seriöse Wissenschaft aus dem Bürostuhl betreiben zu können – am liebsten etwas mit AI. Unweigerlich kam jedoch im Verlauf des Sommers die Frage auf, was wir jetzt mit diesem etwas klobigen Ding anfangen sollen: es konnte ja – Dauerhaftigkeit in Ehren – nicht für immer bei uns in der Bauhalle rumstehen. Als vertikal bepflanzbare Blumenkiste im Kaffeeraum aufstellen? Zwecks Vermarktung unseres Leuchtturmprojekts in Sachen Nachhaltigkeit ins All feuern? Mit seinen 10 t Gewicht wäre der Prototyp ja nur unwesentlich schwerer als der rote Tesla, der dort bereits seit Jahren seine Runden dreht… Nachdem beide Ideen in erster Linie aufgrund überbordender ETH-interner Bürokratie (versuch mal, in einem Bundesbetrieb die Genehmigung für einen Raketenstart zu kriegen) versenkt werden mussten, kam die Idee auf, den Prototyp auf sein Tragverhalten zu testen. Ziemlich wild, dafür hätte ja jemand einen Teststand mit 3 MN Kapazität bauen, Unmengen an Kraftmessdosen, Wegaufnehmern und Kameras herumliegen haben und bereits in der Herstellung des Prototyps optische Fasern zur Dehnungsmessung an Bewehrung und Vorspannung eingebaut haben müssen…

Abbildung 1: Prototypversuch. (a) – (e) Geometrie; (f) Biegeversuch; (g) Querkraftversuch. Teilweise übernommen von [1].

Das Ziel des Prototypversuchs war – neben dem «proof of concept» für die Herstellung – der «proof of concept» für das Tragverhalten des Werkstoffs «CFK-vorgespannter Stahlbeton» und seine Eignung für Eisenbahnbrücken. Insbesondere die folgenden Fragen waren dabei von zentraler Bedeutung:

  • Funktioniert die Verankerung der im Spannbett vorgespannten CFK-Stäbe über Verbund mit dem Beton? Funktioniert sie insbesondere auch bei zyklischer und auflagernaher Belastung?
  • Wie verhält sich der Verbundwerkstoff im Grenzzustand der Tragsicherheit? Erreichen wir den angestrebten Biegeversagensmechanismus «Betonversagen bei Stahlfliessen» und eine gewisse plastische Verformung in der Bewehrung trotz des spröden CFK?
  • Wie verhält sich der Prototyp bei auflagernaher Belastung, was für ein Querkraftversagen stellt sich ein? Welche Druckfeldneigungen darf ich bei einem Hochleistungsbeton mit CFK-Vorspannung für den Querkraftnachweis annehmen?

Eins vorweg: Im Rahmen dieses Blogbeitrags kann ich natürlich nicht im Detail auf diese Fragen eingehen. Für ausführliche Versuchsauswertungen und -interpretationen sei die interessierte Leser:in auf unsere wissenschaftlichen Publikationen zum Thema (z.B. hier) verwiesen. Doch der Reihe nach: Abbildung 1 gibt einen Überblick über den Prototyp und die Versuchsanordnungen des Biege- und Querkraftversuchs. Der aus vier CFK-vorgespannten Längs- und drei Querträgern (im Feld) bestehende Prototyp wurde zunächst in im Querschnitt exzentrischer Vier-Punkt-Biegung belastet. Die Lasten standen dabei auf dem zweiten von vier Längsträgern. Nach 60’000 Lastzyklen auf drei verschiedenen Lastniveaus wurde der Prüfkörper zu Bruch gefahren, wobei der Versagensmechanismus ein Betonbruch bei Fliessen der Stahlbewehrung und anschliessendem (gut hörbaren) Reissen erster CFK-Stäbe im Feld war. Anschliessend wurde der Prüfstand etwas modifiziert, und in einem weitgehend intakten Bereich des Prüfkörpers (der um 180° gedreht wieder eingebaut wurde) ein Querkraftversuch durchgeführt, bei dem die Last auflagernah aufgebracht wurde.

Videos 1 (Zeitrafferaufnahme) und 2 (Versuchsende) zeigen Ausschnitte aus dem Biegebruchversuch. Wichtig dabei ist zu betonen, dass trotz des Betonbruchs in der Biegedruckzone (siehe Video 2), der sich nahezu über die gesamte Breite des Prüfkörpers erstreckte, und trotz des Bruchs einzelner Spannstäbe (Video 2 mit Ton), kein totaler Kollaps des Prototyps stattgefunden hat. 

Video 1: Zeitrafferaufnahme des Biegeversuchs zum Bruch. [Regie und Nachbearbeitung: Vera Balmer]
Video 2: CFK-Reissen und Versuchsende. [Regie und Nachbearbeitung: Vera Balmer]

Zusammen mit Abbildung 2 (Last-Verformung in Biege- und Querkraftversuch, Bild des Schubversagens) geben die Videos einen Einblick in einige, aber nicht alle der eingangs formulierten Fragestellungen:

  • Die Vorspannung blieb während der gesamten Versuchsserie intakt, was exemplarisch am Wiederaufrichten des Prüfkörpers nach dem Biegeversuch (siehe Video 1) festgemacht werden kann. Inwieweit sich die Verankerungszonen der Spannstäbe aufgrund der zyklischen und auflagernahen Belastung verlängert haben, liess sich leider nicht abschliessend feststellen, da die optischen Fasern auf den gespannten CFK-Stäben der Längsträger während der Versuche nicht funktioniert haben.
  • Der angestrebte Biegeversagensmechanismus wurde erreicht. In drei von vier Längsträgern kam der Bewehrungsstahl im Biegeversuch ins Fliessen, was eine Umverteilung von Kräften im Prüfkörper zur Folge hatte. Abbildung 2 (a) zeigt (i) wie alle vier Längsträger aktiviert wurden, und (ii) das erhebliche Verformungsvermögen nach Erreichen der Maximallast (Betondruckzonenversagen), bei welcher kein signifikanter Abfall der Last im verformungsgesteuerten Test-setup stattfand. Stattdessen konnte sich das System bei ungefähr gleichbleibender Last noch erheblich verformen, bevor der Test abgebrochen wurde. 
  • Auch bei auflagernaher Belastung wurden alle vier Längsträger signifikant aktiviert, wie dem Last-Verformungsdiagramm in Abbildung 2 (b) entnommen werden kann. Wie erwartet, fand das Schubversagen im belasteten Träger L2 statt, bei einer Querkraft im Längsträger von ca. 900 kN. Daraus folgt, dass die Bügel im Fliessen waren, das Versagen fand jedoch wie in Abbildung 2 (c) zu sehen ist im Beton statt, und zwar bei einer ziemlich steilen Druckfeldneigung von ca. 35-40°. Es stellten sich folglich nicht wie üblicherweise angenommen «rotierende Risse» mit zum Schluss sehr flachen Neigungen (vergleiche erlaubte Druckfeldneigungen vorgespannter Tragwerke gem. SIA 262) ein, was für Hochleistungsbetone aufgrund ihrer kleinen Rissrauigkeit nicht unüblich ist. 
Abbildung 2: (a) Last-Verformung Biegeversuch; (b) Last-Verformung Querkraftversuch (c) 3D-Scan nach dem Querkraftversuch. Teilweise übernommen von [1].

Aus Sicht des Projektteams ist der «proof of concept» gelungen. Das Biegetragverhalten ist wie antizipiert, der Bewehrungsstahl bringt eine gewisse plastische Verformungskapazität in das System. Die Vorspannung ist robust, muss aber weiter im Detail (mit funktionierenden faseroptischen Dehnungsmessungen) untersucht werden. Dasselbe gilt für das Schubtragverhalten. Was bedeutet das? Im Rahmen der momentanen Projektphase «Wissenschaftliche Aufarbeitung» (Phase 3 von 5 auf dem Weg zum tatsächlichen Bau einer CFK-vorgespannten Bahnbrücke auf dem SBB-Netz) stehen weitere Versuche an; besonders spannend werden dabei die statischen und zyklischen Schubversuche an einzelnen CFK-vorgespannten T-Trägern. Parallel zu den Versuchsserien beginnen wir nun mit der mechanischen Modellierung und den Nachweiskonzepten. Ausserdem bedeutet es, dass das mit mir und der AI weiter warten muss… stay tuned!


Andreas Näsbom

Literatur

[1]A. Näsbom, K. Thoma and W. Kaufmann, “Construction and testing of a CFRP-prestressed railway bridge prototype”, in IABSE Symposium Manchester 2024, Manchester, Apr. 2024.