Link to English version: Predictive Structural Assessment of Concrete Frame Bridges using Machine Learning
Viele Brücken in Europa und darüber hinaus erreichen das Ende ihrer ursprünglichen Lebensdauer. Dies stellt eine grosse Herausforderung dar, da die Sicherheit von Tausenden alternder Bauwerke in kurzer Zeit überprüft werden muss. Tragwerkseigentümer müssen ihre Ressourcen für die Instandhaltung strategisch einsetzen, während sie gleichzeitig Budgetbeschränkungen, Umweltauflagen und begrenzte personelle Kapazitäten berücksichtigen. Herkömmliche Methoden der statischen Überprüfung von Tragwerken sind jedoch zeitaufwendig, teuer und daher nicht effizient auf grosse Bestände skalierbar.
Jüngste Fortschritte im Bereich des maschinellen Lernens (ML) bieten vielversprechende Lösungen. Durch die Erstellung datengestützter Vorhersagemodelle können wir eine effiziente Vorüberprüfung ermöglichen, strukturelle Massnahmen priorisieren und Entscheidungsunterstützung im Vorgehen bei der statischen Überprüfung bieten.
In diesem Blogbeitrag stellen wir ein auf ML-basiertes Tool für die statische Vorüberprüfung von Stahlbetonrahmenbrücken vor – eine der häufigsten Brückenarten in der Schweiz. Dieser Prototyp wurde im Rahmen eines laufenden Forschungsprojekts an unserem Lehrstuhl in Zusammenarbeit mit den Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) entwickelt. In den folgenden Abschnitten demonstrieren wir die Anwendung des Tools anhand eines Praxisbeispiels und diskutieren die praktischen Auswirkungen sowie die zukünftigen Entwicklungsmöglichkeiten. Für Interessierte bieten wir abschliessend Einblicke in die zugrunde liegende Methodik.
Anwendungsbeispiel aus dem SBB-Portfolio
Um zu demonstrieren, wie das ML-basiertes Tool eingesetzt werden kann, haben wir es auf eine bestehende Eisenbahnunterführung aus dem SBB-Brückenportfolio angewendet. Um die statische Ausnutzung einer bestehenden Rahmenbrücke abzuschätzen, können die Nutzer:innen die relevanten Brückenparameter in das Webtool eingeben oder importieren und Vorhersagen generieren (siehe Abbildung 1). Für eine erste Schätzung benötigt das Modell lediglich eine geringe Anzahl an geometrischen Dimensionen als Eingabe: Spannweite, Plattendicke sowie die Höhe und Breite der Brücke. Um die Vorhersagegenauigkeit zu erhöhen, können Nutzer:innen auch zusätzliche strukturelle Details wie die Bewehrungsanordnung, Materialeigenschaften und Lastanordnung einfügen.
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Abbildung 2 zeigt die Ergebnisse, die das ML-Modell für das Anwendungsbeispiel prognostiziert. Die Ausgabe besteht aus drei prädiktiven Verteilungen, die die geschätzten Erfüllungsgrade η für die eingegebene Brückenstruktur darstellen. Diese Werte zeigen an, ob eine Brücke die Tragsicherheitsanforderungen gemäss den Schweizer Normen für den Grenzzustand der Tragfähigkeit (GZT) erfüllt. Das zugrunde liegende datengestützte Modell wurde so trainiert und validiert, dass die Vorhersagen gut mit detaillierten mechanischen Strukturanalysen übereinstimmen.
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Für diese spezifische Brücke prognostiziert das ML-Modell, dass die Nachweise der Biegebeanspruchung die erforderlichen Erfüllungsgrade mit hoher Sicherheit erfüllen (η >> 1). Bei der Schubüberprüfung bleibt der beste Schätzwert (d. h. der Mittelwert der prädiktiven Verteilung μ) zwar über dem Grenzwert für die strukturelle Sicherheit (η = 1), das Modell zeigt jedoch eine gewisse Unsicherheit. Dies ist an der Streuung der prädiktiven Verteilung erkennbar, bei der ein kleiner Teil der Verteilung auch unter die Schwelle von 1 fällt. Das Tool identifiziert somit die Schubüberprüfung als kritisch. Aufgrund dieser Unsicherheit und des prognostizierten Werts, der nahe an der Schwelle von 1 liegt, empfiehlt das Tool die Anwendung detaillierter Analysemethoden, um die Tragsicherheit zu überprüfen. Anstatt vereinfachte Analysemethoden anzuwenden, die möglicherweise zu konservativ sind, um die Tragsicherheit der Struktur nachzuweisen.
Die Empfehlung des Tools für eine verfeinerte Strukturmodellierung und -analyse wurde durch eine anschliessende nichtlineare Finite-Element-Analyse (FEA) des Beispieltragwerkes bestätigt, die die Genauigkeit der Erfüllungsgradprognosen des ML-Modells für dieses Anwendungsbeispiel validiert. Zum Vergleich: Die Brücke wurde zuvor von einem Ingenieurbüro mit herkömmlichen linearen FEA-Methoden analysiert. Diese Berechnung ergab unzureichende Erfüllungsgrade, was zu einer Empfehlung für Verstärkungsmassnahmen führte, die auf etwa CHF 300’000 geschätzt wurden. Dieses Beispiel verdeutlicht den Vorteil des Vorhersagetools. Durch die Nutzung des ML-basierten Abschätzungstools konnte von Anfang an die passende verfeinerte Analysemethode ausgewählt werden. Die nichtlinearen FEA-Ergebnisse bestätigten letztendlich die Tragsicherheit und verhinderten unnötige Kosten und ressourcenintensive Verstärkungsmassnahmen.
Praktische Auswirkungen und Entwicklungspotenzial
Ein solches ML-basiertes Vorhersagetool soll nicht die mechanische Tragwerksanalyse ersetzen, sondern als effiziente und wirtschaftliche Abschätzungsmethode dienen. Das Anwendungsbeispiel veranschaulicht, dass die Prognosen des Modells eine Entscheidungsunterstützung bieten, die Tragwerkseigentümern hilft, die nächsten Schritte für die Strukturen innerhalb ihres Portfolios zu bestimmen. Es hilft auch Ingenieur:innen dabei, das geeignete Mass an Modellierungsgenauigkeit und Analyseaufwand für die statische Überprüfung einer spezifischen Struktur zu wählen. Wichtig ist, dass die Vorhersagen des Tools immer mit ingenieurtechnischem Urteilsvermögen interpretiert werden müssen.
Dieser Prototyp ist derzeit auf einfache Betonrahmenbrücken anwendbar. Die Methode kann jedoch auch auf andere Brückentypen, die Normen anderer Länder und zusätzliche Faktoren wie verschiedene Schadensbilder ausgeweitet werden. Die Weiterentwicklung des Tools zielt darauf ab, die Priorisierung und Durchführung der Bauewerksüberprüfungen über grosse Bestände hinweg effizienter zu gestalten und Ressourcen dort einzusetzen, wo sie benötigt werden.
Wie das ML-Modell entwickelt wurde
Basierend auf dem umfangreichen Rahmenbrückeninvetar der Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) haben wir gängige Stahlbetonrahmenbrücken parametrisiert und eine parametrische Berechnungspipeline entwickelt, welche detaillierte nichtlineare FEA-Simulationen durchgeführt, um einen Datensatz von Erfüllungsgraden zu erstellen. Auf Basis dieses Datensatzes haben wir dann ein ML-Modell (speziell ein Bayessches neuronales Netz [1]) trainiert, um die Abbildung zwischen Brückenparametern und Erfüllungsgraden zu erlernen (siehe Abbildung 3). Dies ermöglicht es dem Modell, die Daten im hochdimensionalen Parameterraum zu interpolieren und Vorhersagen für Brücken zu treffen, die noch nicht analysiert wurden. Im Gegensatz zu Standard-Neuronalen Netzen schätzt der Bayessche Ansatz auch die Unsicherheit der Vorhersage. Sowohl die für die Datengenerierung verwendete parametrische Pipeline als auch das trainierte ML-Modell wurden anhand von Parameterstudien und bestehenden Strukturen (wie im oben gezeigten Anwendungsbeispiel) validiert. Die Vorhersagegenauigkeit des Modells wurde mit unbekannten Daten getestet, und die Unsicherheitsabschätzung wurde so kalibriert, dass akkurate Konfidenzintervalle gewährleistet sind.
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Haben Sie Fragen oder Anmerkungen zu diesem Projekt? Zögern Sie nicht, sich an Sophia Kuhn zu wenden.
Sophia Kuhn
Literatur
[1] S. V. Kuhn, M. Weber, A. Binggeli, M. A. Kraus, F. Perez-Cruz, W. Kaufmann, Predictive structural assessment of concrete frame bridges with bayesian deep learning, manuscript to be submitted for publication (2025). |