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Beton – Grundlage unserer Zivilisation
Beton war für die Industrialisierung und die Entwicklung unserer urbanen Zivilisation unabdingbar und ist heute der mit Abstand am meisten verwendete Baustoff: Jährlich werden rund 15…20 Milliarden Kubikmeter Beton verbaut, also gut zwei Kubikmeter pro Erdbewohner weltweit(1). Die Betonbauweise ist derart weit verbreitet, weil sie gute mechanische Eigenschaften(2) mit hoher Dauerhaftigkeit(3) und Feuerwiderstand vereint, bei weltweiter Verfügbarkeit zu tiefen Kosten. Die beiden letztgenannten Vorteile werden oft übersehen, sind aber wohl die wichtigsten Faktoren für die grosse Verbreitung der Betonbauweise.
(1) Genaue Zahlen sind nicht verfügbar; die Schätzung basiert auf der von Cembureau registrierten jährlichen weltweiten Produktion von 3.99 Milliarden Tonnen Zement (Kennzahlen Cembureau) hochgerechnet analog zum Vorgehen der Cement Sustainability Initiative unter Annahme von 300 kg Zement mit 70% Klinkeranteil pro Kubikmeter Beton. In der Schweiz werden gemäss Statistik des FSKB jährlich 15 Millionen Kubikmeter Transportbeton geliefert, was bei einem Transportbetonanteil von 75% einem jährlichen Betonverbrauch von rund 2.5 Kubikmeter pro Kopf entspricht.
(2) Beton weist eine hohe Druckfestigkeit auf, versagt aber bereits unter geringer Zugbeanspruchung spröd. Die Erfindung des Stahlbetons, in welchem eine Bewehrung – in der Regel Betonstahl – die Zugkräfte aufnimmt, war daher für den Erfolg der Betonbauweise essentiell. Andererseits sorgt der Beton dafür, dass sich die Bewehrung bei einem Brandereignis nur langsam erwärmt und sorgt damit für einen hohen Feuerwiderstand. Betonstahl – in der Schweiz werden jährlich rund 1.6 Millionen Tonnen verbaut – wird heute praktisch ausschliesslich aus Altmetall hergestellt.
(3) Dank der hydraulischen Eigenschaften des Bindemittels Zement ist Beton selbst unter Wasser dauerhaft. Die Lebensdauer bewitterten unbewehrten Betons ist daher nahezu unbegrenzt, wie beispielsweise das Pantheon in Rom beweist. Dies gilt auch für Stahlbeton, solange die Bewehrung nicht korrodiert. Letzteres hängt primär von der Exposition ab: Während in trockenen Innenräumen keine Korrosion auftritt, müssen Bauwerke, die Feuchtigkeit und Chloriden ausgesetzt sind, unter Umständen nach einigen Jahrzehnten instandgesetzt werden. Im Vergleich mit den meisten anderen Baustoffen ist die Dauerhaftigkeit von Stahlbeton jedoch auch unter solcher Exposition sehr hoch.
Hoher Ressourcenverbrauch und Treibhausgasemissionen
Offensichtlich geht mit der grossen Verbreitung der Betonbauweise ein hoher Ressourcenverbrauch einher, auch wenn dieser durch die Wiederverwendung von Betonabbruch als rezyklierte Gesteinskörnung für neuen Beton reduziert werden kann. Zudem trägt der als Bindemittel im Beton verwendete Zement je nach Berechnungsweise rund 5…8% zu den weltweiten Treibhausemissionen bei(4). Vor dem Hintergrund des Klimawandels ist es daher naheliegend, einen Ersatz von Beton durch andere Baustoffe, insbesondere Holz, zu fordern.
(4) Bei der Herstellung von Portlandzement (auch als Klinker bezeichnet) durch die Kalzinierung von Kalkstein und Mergel werden rund 470 kg CO2 pro Tonne freigesetzt. Die Erhitzung der Ausgangsstoffe auf die zur Kalzinierung notwendigen Temperatur von ca. 1450°C verursacht weitere 100…500 kg CO2 pro Tonne Klinker (je nach verwendetem Brennstoff). Durch den hohen Zementverbrauch von jährlich 3.99 Milliarden Tonnen (Kennzahlen Cembureau) – allein in der Schweiz 4.21 Millionen Tonnen (Kennzahlen cemsuisse) resultieren entsprechend hohe Treibhausgasemissionen.
Ersatz von Beton: Taugliche Lösung?
Der Ersatz von Beton ist jedoch nur teilweise möglich und zumindest für sich alleine nicht zielführend. Einerseits ist Beton für viele Anwendungen faktisch alternativlos: Untergeschosse von Gebäuden, Stützmauern, Talsperren oder Tunnels in anderer Materialisierung sind hinsichtlich Tragwiderstand, Dauerhaftigkeit und Kosten nicht annähernd gleichwertig. Andererseits können alternative Baustoffe nur einen kleinen Teil der weltweit benötigten Mengen an Baustoffen abdecken(5), und sie verursachen bei grosser Verbreitung entsprechend hohe Treibhausgasemissionen, die in den meisten Fällen sogar höher sind als diejenigen von Beton(6).
(5) Beispielsweise beträgt der jährliche Rundholzeinschlag weltweit heute rund 2 Milliarden Kubikmeter, wovon etwa 500 Millionen zu Holzprodukten verarbeitet werden (FAO Global Forest Products Facts and Figures 2018). Dies entspricht wenigen Prozenten des Betonverbrauchs. Selbst bei einer starken Erhöhung dieser Menge (soweit dies mit nachhaltiger Forstwirtschaft machbar ist) könnte nur ein kleiner Teil des Betons substituiert werden.
(6) Hier ist zwar Massivholz eine Ausnahme, aber viele Holzwerkstoffe verursachen ebenfalls hohe Emissionen. Beispielsweise emittiert Sperrholz pro Kubikmeter rund sechsmal mehr CO2 als Beton (KBOB Ökobilanzdaten im Baubereich).
Wenn der Ressourcenverbrauch und die Treibhausgasemissionen der Baubranche substantiell reduziert werden sollen, kann daher nicht einfach Beton ersetzt werden. Wenn schon müsste die Bautätigkeit insgesamt eingeschränkt werden, verbunden mit einem Übergang zur Kreislaufwirtschaft. Solche Überlegungen haben in industrialisierten Ländern ihre Berechtigung: Wir haben bereits eine gute Infrastruktur und wir können uns höhere Kosten für ihren Erhalt, Ersatz oder Ausbau unter Verwendung alternativer Baustoffe – gegebenenfalls in Form von Lenkungsabgaben zu deren Förderung – leisten. In Entwicklungs- und Schwellenländern ist dies jedoch kaum realistisch, und ich halte es für anmassend, wenn industrialisierte Länder von diesen Ländern die Berücksichtigung solcher Kriterien beim Aufbau ihrer Infrastruktur fordern, oder sogar einen Verzicht verlangen. Hält man sich vor Augen, dass diese Länder heute rund 85% des Zements verbrauchen (https://www.suedwind-magazin.at/zweischneidiges-schwert), ist der Ersatz von Beton kaum die Lösung.
Umweltfreundlichkeit durch effiziente Tragwerke
Vielmehr gilt es, den Ressourcenverbrauch und die Emissionen der Betonbauweise zu reduzieren. Das Cembureau hat dazu den «5C»-Ansatz entwickelt, mit dem folgende fünf Punkte verfolgt werden:
- Clinker – Reduktion fossiler Brennstoffe bei der Klinkerherstellung
- Cement – Reduktion des Klinkergehalts im Zement
- Concrete – Reduktion des Zementgehalts im Beton
- Construction – Reduktion des Betonverbrauchs im Bauwerk
- Carbonation – Erhöhung der Karbonatisierung
Der erste Punkt ist in der Schweiz bereits weitgehend umgesetzt: Die Schweizer Zementindustrie bezieht heute über zwei Drittel der Energie aus alternativen Brennstoffen. Auch der Klinkergehalt im Schweizer Zement wurde bereits stark reduziert: Der Anteil des bis 1998 praktisch ausschliesslich eingesetzten reinen Portlandzements beträgt heute weniger als 7% (Kennzahlen cemsuisse). Eine weitere Reduktion des Klinkergehalts im Zement ist möglich, wobei jedoch die Dauerhaftigkeit nicht beeinträchtigt werden darf. Aus demselben Grund ist eine Reduktion des Zementgehalts im Beton nicht ohne weiteres möglich(7).
(7) Dauerhaftigkeitsprobleme treten im Betonbau primär durch Korrosion der Bewehrung auf. Die Alkalität des Betons, welche durch die Verwendung von Klinker gewährleistet wird, schützt die Bewehrung vor Korrosion. Dies ist bei einer Reduktion von Zementgehalt und Klinkeranteil im Zement bei exponierten Betonbauteilen zu beachten.
Betonbauten absorbieren durch die Karbonatisierung des Betons (CO2-Aufnahme) über ihre Lebensdauer 10-20% (je nach Berechnungsmethode) der emittierten Treibhausgase. Dieser Anteil kann beispielsweise durch die gezielte Karbonatisierung von Betonabbruchgranulat erhöht werden (https://www.aramis.admin.ch/Texte/?ProjectID=47360). Eine interessante Alternative besteht darin, CO2 an der Emissionsquelle einzufangen und daraus Kalkstein herzustellen, wie dies beispielsweise die Firma Blue Planet bereits macht. Wird dieser synthetische Kalkstein als Gesteinskörnung für Beton eingesetzt, würden Betonbauten in Zukunft mehr CO2 absorbieren, als bei der Zementherstellung emittiert wird. Ob sich der Prozess allerdings skalieren und wirtschaftlich betreiben lässt, ist gegenwärtig noch nicht absehbar.
Das grösste Potential sehe ich persönlich in der Reduktion des Betonverbrauchs im Bauwerk, die sich am besten mit statisch effizienten Tragwerken erreichen lässt. Solche Tragwerke zeichnen sich ja eben gerade dadurch aus, dass sie die Lasten mit geringem Eigengewicht (und somit kleinem Ressourcenverbrauch und Emissionen) materialgerecht abtragen. Hier können und müssen die im konstruktiven Ingenieurbau tätigen Bauingenieurinnen und Bauingenieure ihren Beitrag zum Klimaschutz leisten.
Aufgrund niedriger Materialpreise bei steigenden Lohnkosten wurde die statische Effizienz als Entwurfsziel in den letzten Jahrzehnten leider allzu oft vernachlässigt. Stattdessen wurden einfache und schnell zu erstellende Bauwerke favorisiert, auch wenn diese wesentlich mehr Material erforderten. Zudem wurden die Mindestabmessungen von Betonbauten laufend erhöht: Im Hochbau um die Schalldämmung zu gewährleisten und Haustechnikleitungen einlegen zu können(8), im Tiefbau um eine maximale Dauerhaftigkeit zu gewährleisten(9). Hier bietet der zunehmende Druck, Ressourcenverbrauch und Treibhausgasemissionen zu reduzieren, den Bauingenieurinnen und Bauingenieuren die Chance, sich auf eine ihrer ureigenen Kompetenzen zu besinnen und der statischen Effizienz wieder den Stellenwert einzuräumen, den sie verdient.
(8) Ein Beispiel hierfür sind Häuser mit kontrollierter Lüftung, wie dies zur Erreichung des «Minergie»-Labels notwendig ist. Um die Lüftung in die Decken integrieren zu können, beträgt die Deckenstärke meistens 26 cm, obschon statisch eine viel dünnere Decke ausreichend wäre.
(9) Die Anforderungen an die Dauerhaftigkeit wurden aufgrund der Erfahrung mit Korrosionsschäden an frühen Betonbauten stark erhöht, was zweifellos gerechtfertigt ist: Ein frühzeitiger Ersatz eines korrodierten Bauwerks ist gewiss nicht nachhaltig. Die heute von vielen Normen und Bauherren pauschal an alle Bauwerke gestellten Maximalanforderungen hinsichtlich Dauerhaftigkeit sollten jedoch hinterfragt und differenziert werden, da sie zu Lasten von Ressourcenverbrauch und Treibhausgasemissionen gehen.
Statisch effiziente Betonbauten
Die effizientesten Betonbauten sind zweifellos Bogen- und Schalentragwerke, welche die Lasten bei geringem Eigengewicht primär über Druckkräfte abtragen. Allerdings gilt dies nur für den Endzustand. Die konventionelle Erstellung solcher Tragwerke erfordert hingegen oft sehr aufwändige Lehrgerüste und Schalungen, wodurch ihre Vorteile stark relativiert werden.
Hier gilt es, noch effizientere Bauverfahren zu entwickeln, was beispielsweise Gegenstand aktueller Forschung im NCCR dfab an der ETH Zürich ist (https://dfab.ch/streams/lightweight-flexible-formwork). Solche Bestrebungen sind keineswegs neu: Beispielsweise entwickelte J. Melan bereits 1892 ein System zur Erstellung von Bögen, bei dem ein leichter Stahlbogen zugleich als Lehrgerüst für den Beton und dessen Hauptbewehrung dient. Mit der auf dem gleichen Prinzip basierenden «CSFT» (Concrete Filled Steel Tube) Bauweise werden in China heute Bogenbrücken mit über 500m Spannweite erstellt (https://concrete.ethz.ch/brd/arch-bridges/).
Bögen und Schalen eigenen sich naturgemäss nicht für alle Anwendungen, beispielsweise Geschossdecken, die meistverbreitete Anwendung von Stahlbeton. Auch geometrisch einfachere Bauwerke können jedoch statisch effizient sein, wenn sie entsprechend konzipiert werden. Hier gilt es einige Grundprinzipien zu beachten, die für Bauingenieurinnen und Bauingenieure selbstverständlich sein sollten:
- Effiziente statische Systeme wählen: Durchlaufträger sind wesentlich effizienter als einfache Balken
- Effiziente Querschnitte wählen: Profilierte Träger haben bei gleichem Gewicht wesentlich höhere Steifigkeit und Widerstand als Rechteckquerschnitte
- Trägerhöhe der Beanspruchung anpassen
- Bauvorgang im Entwurf berücksichtigen
Für Geschossdecken eignen sich insbesondere Rippen-, Kassetten- und Hohlkörperdecken, mit denen sich gegenüber einer Vollplatte in vielen Fällen mehr als 50% des Materials einsparen lassen. Auch hier gibt es bestehende Systeme, beispielsweise standardisierte Schalungen für Ortbeton-Kassettendecken und vorfabrizierte Hohlkörperdecken. Neue Möglichkeiten sind Gegenstand aktueller Forschung im NCCR dfab an der ETH Zürich.
Zusammenfassung
Die Reduktion von Ressourcenverbrauch und Treibhausgasen ist angesichts des Klimawandels ein Gebot der Stunde. Der Ersatz von Beton durch andere Baustoffe ist jedoch nur in wenigen Fällen zielführend, da nicht der Beton an sich das Problem ist, sondern seine grosse Verbreitung: Wenn andere Baustoffe in solch grossen Mengen verbaut werden, verursachen sie einen ebenso grossen Ressourcenverbrauch und ähnlich grosse Treibhausgasemissionen wie Beton.
Vielmehr müssen unsere Bauwerke insgesant umweltfreundlicher werden. Mit statisch effizienten Tragwerken können und müssen projektierende Bauingenieurinnen und Bauingenieure hier einen substantiellen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Damit solche Tragwerke auch wirtschaftlich sind, muss der Bauvorgang im Tragwerksentwurf einbezogen werden. Zudem müssen wir Bauverfahren entwickeln, mit denen komplexere Bauwerke effizient hergestellt werden können.
An unserer Professur versuchen wir, mit der Vermittlung der Grundlagen für einen effizienten Tragwerksentwurf und mit unserer Forschung im Bereich neuer, digitaler Fabrikationsverfahren unseren Beitrag zu leisten.
Walter Kaufmann