Link to English version: Performance-based generative design of network tied-arch bridges
Die Methode des Generative Design (GD) [1] wurde kürzlich auch im Bauwesen eingeführt und markiert einen Wandel in Konzeption, Entwurf und Realisierung der gebauten Umwelt. Die Grundidee hinter GD ist die effiziente Generierung von Entwurfsalternativen ausgehend von einem parametrischen Modell einer baulichen Struktur unter definierten Leistungskriterien und Randbedingungen, sodass den Beteiligten eine informations- und datenbasierte Entscheidungsfindung ermöglicht wird. Zu diesem Zweck stellt die GD eine Methode zur Entwurfsautomatisierung und -optimierung dar, welche seit diesem Jahr ebenfalls in kommerziellen Produkten der Ingenieurpraxis wie AUTODESK REVIT etc. verfügbar ist und bereits erste publizierte Anwendungen vorweisen kann, z. B. [2].
Im Bereich des Bauingenieurwesens stellen Infrastrukturbauwerke und insbesondere Brücken ein potentielles Anwendungsfeld von Generativem Design dar. Andererseits gibt es bis heute keinen ausgereiften durchgehend digitalen und somit rechnergestützten Entwurfs- oder Optimierungsansatz für Brücken, da sich diese Aufgabe durch nichtlineare Interaktionen der Brückenkomponenten und eine enorme Anzahl geometrischer und materieller Entwurfsvariablen sehr komplex gestaltet. Daher ist die Optimierung von Brücken mühsam, zeitaufwendig und stark von der Erfahrung des jeweiligen Ingenieurs bzw. Ingenieurin abhängig. Die kollektive Auswertung von Entwurfserkenntnissen und -mustern wird nur in begrenztem Umfang durchgeführt, eine systematische und methodische Bewertung durch moderne Algorithmen des maschinellen Lernens (ML) ist somit nicht möglich, siehe Abbildung 1 (links).
Um das erwähnte Problem beim Brückenentwurfs anzugehen, haben wir das “Bridge Genome Project” initiiert. Darin wird die Forschungshypothese evaluiert, dass der heute verfolge Ansatz beim Entwurf durch den Einsatz moderner ML-Methoden in Verbindung mit Datenbanken über bestehende Bauwerke und GD erheblich unterstützt und verbessert werden kann. Das Konzept zur Erzielung dieser Idee ist in Abbildung 1 (rechts) dargestellt. Die Idee hinter dem “Bridge Genome Project” ist es, Informationen über bestehende Bauwerke zu sammeln, um die zugrundeliegenden Muster des Brückendesigns (das “Design-Genom”) mit ML zu identifizieren. So trainierte ML Modelle dienen dann als Ausgangspunkt für weitere GD-Studien im Zuge neuer Projekte. Zur Überprüfung des Konzepts (proof of concept) werden im Rahmen dieser Studien ausschließlich Netzwerkbogenbrücken untersucht.
Der vorgeschlagene Arbeitsablauf besteht aus den folgenden fünf Schritten, vgl. Abbildung 2:
- Erfassung der Strukturdaten von Brücken in einer Datenbank;
- Durchführung einer Clusteranalyse durch unüberwachte ML-Algorithmen;
- Durchführung von Vorhersagen durch ML-Regressions-/Klassifizierungsalgorithmen, um initiale Brückenmodelle (Priormodelle) zu erstellen;
- Zuführung der Priormodelle der Brücken in den GD-Prozess in Grasshopper / Rhino;
- Optimierung von Entwurfsalternativen mit Grasshopper / Rhino [4].
Auf der Grundlage eines vorverarbeiteten Datensatzes von weltweit existierenden Netzwerkbogenbrücken wurde eine Clusteranalyse durchgeführt, um latente Strukturen innerhalb der Brückendaten mit Hilfe von zwei unüberwachten Lernalgorithmen, K-Prototype [5] und DBSCAN [6], zu identifizieren. Beide Algorithmen konnten konsistente Strukturen in den Daten erkennen, z.B. dass eine Ähnlichkeit aller Brückenparameter für Netzwerkbogenbrücken in Abhängigkeit der Spannweiten besteht (siehe Titelbild). Anschließend wird auf den Clustern ein Priormodell trainiert, welches in der Lage ist, geeignete Brückenparameter für neue Projekte in einer vordefinierten Reihenfolge vorherzusagen. Da es sich im vorliegenden Fall um gemischte Datentypen handelt, wird hier der CatBoost-Algorithmus [7] eingesetzt, da dieser gleichzeitig Regressions- und Klassifikationsmöglichkeiten anbietet.
Nach der Generierung von Brückenentwürfen mit diesem Priormodell werden die parametrischen Strukturmodelle zur Optimierung in Grasshopper und Karamba3D in der Rhino 7-Umgebung übergeben. Hierbei kann das generative Modell ein Echtzeit-Feedback bezüglich statischer aber auch weiterer Kriterien für alle Parameteränderungen liefern. Dazu wird das Plug-in Octopus eingesetzt, um mit Hilfe des genetischen Optimierungsalgorithmus HypE die multikriterielle Optimierungen der Brückenparameter durchzuführen. Im Rahmen der hier vorgestellten Studie wurden als Zielfunktionen die Materialkosten, statische Ausnutzung (hier vereinfacht 2D und linear elastisches Werkstoffverhalten angenommen) sowie ein neu entwickelter ML-basierter Prädiktor für die ästhetische Qualität des Brückenentwurfes untersucht. Beispielhafte Ergebnisse der Optimierungen sind in Abbildung (3) dargestellt. Dabei umfassen die Ergebnisse die Berücksichtigung der Kriterien (i) Materialkosten und statische Ausnutzung (Pareto-Front durch grüne Punkte markiert); (ii) Materialkosten, statische Ausnutzung und ästhetisches Empfinden (Pareto-Front durch lila Punkte markiert).
In der hier vorgestellten Proof-of-Concept-Studie zu Netzwerkbogenbrücken erweist sich der entwickelte mehrstufige ML-Ansatz für ein automatisiertes Generatives Design von Brücken als wertvolle Unterstützung des Planenden, insbesondere in frühen Entwurfsphasen eines Projekts. Unser Ansatz ermöglicht einen effizienten statischen Entwurfs- und Optimierungsprozess von Brücken und stellt eine allgemeine Methode zur Verfügung, welche direkt auf andere geeignete Datensätze weiterer baulicher Strukturen wie z.B. Hallen oder Wohngebäude, angewendet werden kann. Der vorgeschlagene ML-Ansatz ermöglicht durch den Clustering-Schritt einerseits die Identifizierung, Extraktion und Analyse von Entwurfsmustern der gebauten Umwelt, welche dann einer weiteren Interpretation und Diskussionen durch Fahleute zugeführt werden kann. Das kalibrierte Priormodell formalisiert dieses Designwissen und ermöglicht die Erzeugung neuer Designs in einem frühen Projektstadium. Die so generierten Entwürfe können dann in die Grasshopper/Rhino-Optimierungsschleife eingespeist werden, um auf automatisierte Weise Leistungsinformationen (z. B. statische Ausnutzungen, Kosten aber auch Ästhetik und Nachhaltigkeit usw.) zu erhalten. Es konnten aber auch Einschränkungen und Kritikpunkte bei diesem Ansatz festgestellt werden. Dies sind die epistemischen Unsicherheiten des Priormodells aufgrund der geringen Größe und Bias des Datensatzes für das Modelltraining. Darüber hinaus ist der Einsatz von Fachwissen und Kreativität eines Bauingenieurs bzw. Bauingenieurin nach wie vor erforderlich, da das maschinelle Lernmodell potenziell ungünstige Entwürfe aus den Daten gelernt haben könnte, Innovationen aufgrund der aktuellen Formulierung des GD-Ansatzes selten vorkommen und die Pareto-Optimalität eine endgültige Stakeholder-Entscheidung über die Abwägung mehrerer Leistungsziele (z. B. Budgetierung vs. statische Ausnutzung usw.) erzwingt.
Dr. Michael A. Kraus
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Literatur
[1] https://www.autodesk.com/solutions/generative-design
[2] https://archistar.ai/blog/4-examples-of-generative-design-in-action/
[3] Kuhn, S. (2021): Parametric Modelling and Generative Design – A Multi-Step Machine Learning Approach for Design and Optimization of Network Tied-Arch Bridges, Master Thesis, ETH Zurich
[4] McNeel, R., & others. (2010). Rhinoceros 3D, Version 7.0. Robert McNeel & Associates, Seattle, WA.
[6] https://scikit-learn.org/stable/modules/generated/sklearn.cluster.DBSCAN.html
[7] Dorogush, A., Gulin, A., Gusev, G., Kazeev, N., Prokhorenkova, L., Vorobev, A. (2017): Fighting biases with dynamic boosting, arXiv:1706.09516.