Internationaler Austausch während der Pandemie

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Unsere Gruppe kann durch Austauschforscherinnen in vielerlei Weise profitieren. Die tägliche Zusammenarbeit mit ausländischen Forscherinnen ist laut Dr. Jaime Mata Falcón der beste Weg, um unseren Kopf und unseren Forschungshorizont offen zu halten. Wir gewöhnen uns damit an ein globales Leben und die globale Wirtschaft. Ein internationaler Austausch von Forschungsideen und -methoden bietet zudem ein enormes Potenzial für Synergien und Fortschritt. Publikationen sind die klassischste Kommunikationsform in der Forschung. Obwohl sie ein wesentlicher Schritt des Teilens sind, neigen Veröffentlichungen dazu, unpersönlich zu sein und keinen hohen Dialog und keine Interaktion mit unseren Kolleginnen zu fördern. Die Zusammenarbeit mit Auslandsforscherinnen über längere Zeit schafft ein gemeinsames Verständnis sowohl auf persönlicher als auch auf beruflicher Ebene, und es wird eine tiefere Interaktion ermöglicht. Dies ist eine hervorragende Gelegenheit, unsere Ideen effizienter zu verbreiten, neue Perspektiven einzunehmen und langjährige Kooperationen aufzubauen. Während wir uns an die virtuelle Arbeit und Interaktion gewöhnen, bin ich überzeugt, dass diese Ergebnisse nur erreicht werden können, wenn man die Möglichkeit hat, einige Zeit von Angesicht zu Angesicht zu arbeiten und den anderen und seine Kultur kennenzulernen.

Leider hat die anhaltende Covid-19-Pandemie die Interaktion mit ausländischen Forscherinnen, die einige Zeit bei uns verbringen, erschwert. Um mehr Einblick in dieses Thema zu bekommen, teilen drei Austauschforscherinnen in diesem Beitrag ihre beruflichen und persönlichen Erfahrungen und wie diese von der Pandemie betroffen sind.

Erzähl uns von dir!

Ich bin Tobias Huber und komme aus Wien, Österreich. Ich bin 32 Jahre alt und arbeite als Postdoc im Bereich Betonbau. Mein Doktoratsstudium habe ich 2019 an der TU Wien abgeschlossen und meine Doktorarbeit beschäftigt sich mit dem Tragverhalten alter Betonbrücken. Seit geraumer Zeit versuche ich mit meiner Forschung neue Wege für schnelleres und nachhaltiges Bauen zu finden. Neben der Forschung liebe ich es, die Welt zu bereisen, Fußball zu spielen und außerdem bin ich leidenschaftlicher Vespa-Fahrer.

Mein Name ist Laura Esposito und ich bin 28 Jahre alt. Ich komme aus Italien und habe 2018 meinen Master-Abschluss in Bau- und Geotechnik an der Universität Neapel Federico II abgeschlossen. Nach dem Abschluss entschied ich mich, meine Karriere an der Universität mit einem Doktorat fortzusetzen. Das Thema meiner Forschung lautet: Innovative Strukturen durch die Umsetzung von 3D-Drucktechnologie in der Bauindustrie. Die Doktorarbeit ermöglicht es mir, sehr innovative Themen zu untersuchen und herauszufinden, wie sehr Automatisierung in allen Bereichen, einschließlich des Bauingenieurwesens, an Bedeutung gewinnen.

Mein Name ist Lisbel Rueda García und ich bin 29 Jahre alt. Nachdem ich 2017 meinen Master in Bauingenieurwesen an der Polytechnischen Universität Valencia UPV (Spanien) abgeschlossen hatte, schrieb ich mich als Doktorandin in Bauingenieurwesen ein. Meine Forschung konzentriert sich auf das Schubtragverhalten von Betonverbundträgern. Außerdem beschäftige ich mich auch mit dem Tragverhalten und der Ertüchtigung von Betonkonstruktionen unter Erdebenbeanspruchung.

Was machst du an der ETH Zürich?

(Tobias) Ich arbeite am NCCR-dfab-Projekt, einer herausragenden Schweizer Forschungsinitiative für digitale Fabrikation in Architektur und Bau. In einem interdisziplinären Team finden wir Wege, die Technologie des 3D-Drucks für Schalungen von Stahlbetonbauwerken zu nutzen. Mit dieser, durch Roboter ermöglichten, Formfreiheit ist es möglich, nicht nur Materialkosten und Arbeitsaufwand beim Schalungsbau zu senken, sondern auch die Konstruktionselemente zu optimieren. Dies führt zu einem geringeren Materialverbrauch. Wir werden versuchen, das Potential zu zeigen, indem wir einen Demonstrator einer Deckenplatte bauen.

(Laura) Während meines Doktorates hatte ich die Möglichkeit, prägende und spannende Erfahrungen in ganz Europa zu sammeln. An der ETH Zürich konzentriere ich mich zusammen mit meinem italienischen Tutor (Costantino Menna) und meinem Tutor an der ETH (Jaime Mata Falcón) auf Bewehrungsstrategien und deren Wirksamkeit in 3D-Betondruckstrukturen. Ich und Lukas Gebhard (ein ETH-Doktorand, derzeit an meiner Heimatuniversität) arbeiten zusammen und teilen experimentelle Ergebnisse, Fachkenntnisse und Know-how. Die Möglichkeit zu einem direkten Austausch mit einem ETH-Forscher war ein wesentlicher Grund für meinen Austausch. Darüber hinaus ermöglicht mir diese Erfahrung, mit einer der führenden Universitäten in der wissenschaftlichen Forschung zur Digitalen Fabrikation zusammenzuarbeiten.

(Lisbel) Von den spanischen Ministerien werden Stipendien zur Unterstützung von Auslandsaufenthalten vergeben, um die Zusammenarbeit mit einer anderen Universität im Forschungsprojekt und die berufliche und persönliche Entwicklung des Doktoranden an einer anderen Universität zu fördern. Dank dieser Unterstützung bin ich derzeit für drei Monate an der ETH, um die von mir am UPV getesteten Träger mit der Software IDEA StatiCa Detail, die auf der an der ETH entwickelten Compatible Stress Field Method (CSFM) basiert, numerisch zu modellieren.

Tobias beim Betonieren in der Bauhalle

Wieso hast du dich für die ETH Zürich entschieden?

(Tobias) Zu Beginn meines Doktoratsstudiums im Jahr 2016 hatte ich die Möglichkeit, an einem fib-Workshop zum Thema Schubtragfähigkeit von Betonbauwerken an der ETH-Zürich (Hönggerberg) teilzunehmen. Dort durfte ich Prof. Kaufmann und sein Team sowie die beeindruckende Bauhalle der ETH kennenlernen, welche als Gastgeber fungierten. Mir war sofort klar, dass die ETH Zürich und das IBK meine erste Adresse sein würden, wenn ich jemals die Chance hätte, im Ausland zu forschen.

(Laura) Meine Wahl hängt zweifellos damit zusammen, dass die ETH Zürich eine der führenden Universitäten im Bereich Digital Fabrikation ist. Die wissenschaftliche Forschung an der ETH wird dank der vielen Gruppen in hochmodernen Labors (wie dem Robotic Fabrication Lab) vorangetrieben. Darüber hinaus habe ich die Möglichkeit, meine Forschung zu einem der aktuellsten Themen in meinem Bereich zu verbessern: wie man 3D-betongedruckte Strukturen bewehrt.

(Lisbel) Schon vor der Pandemie, war es nicht einfach, einen Ort zu finden, an dem man ein Thema bearbeiten kann, dass die eigene Forschung verbessert, und zugleich Unterstützung durch einen Betreuer hat. Mit der Covid-Pandemie war es durch die Reisebeschränkungen noch schwieriger, den richtigen Platz zu finden. Jemanden an der ETH zu kennen – in meinem Fall Dr. Jaime Mata Falcón, der meiner Heimatuniversität angehörte – kann diese Suche erleichtern. Dies und die Tatsache, dass sie eine der renommiertesten Hochschulen im Bauingenieurwesen ist, machte die ETH zur perfekten Destination.


Lisbel bei der Salginatobel Brücke

Was ist der grösste Unterschied zu deiner Heimat-Universität?

(Tobias) Die Gruppe von Prof. Kaufmann ist etwa dreimal so groß wie unser Institut in Wien, was die Zahl der dort tätigen wissenschaftlichen Mitarbeiter angeht. Sie haben also eine große Vielfalt in ihren Forschungsthemen, was zu einem sehr fruchtbaren wissenschaftlichen Austausch führt, der aktiv gefördert wird. Sie organisieren zum Beispiel ein zweiwöchentliches Format namens Journal Club, in dem interessante Artikel und Fachbeiträge gemeinsam diskutiert werden. Dadurch bekomme ich viele neue Aspekte für meine eigene Arbeit.

(Laura) Alles an der ETH ist wirklich gross, etwa die Anzahl der Labore und Laborgeräte. Nicht zuletzt auch die Zahl der Personen, die in der Gruppe von Prof. Kaufmann tätig sind, und die Zahl der bearbeiteten Themen. Diese Faktoren sind grundlegend für das wissenschaftliche Umfeld, in dem experimentelle Aktivitäten, kontinuierlicher Austausch und Diskussion im Mittelpunkt stehen.

(Lisbel) Den größten Unterschied habe ich auf jeden Fall in der Teamatmosphäre gemerkt und diese werde ich wahrscheinlich am meisten vermissen. Im großen Forschungsteam von Prof. Kaufmann wird das Teilen von persönlichen Perspektiven gefördert. Die in privaten Unternehmen durchaus übliche Interaktion zwischen Menschen und Teams ist in der akademischen Forschung nicht immer gegeben. Ein Doktoratsstudium ist ein relativ langer Abschnitt in unserem Leben. Es ist sowohl auf persönlicher als auch auf beruflicher Ebene bereichernd, diese Etappe in einer Teamatmosphäre durchzuführen. Darüber hinaus schafft der Ideenaustausch wichtige Synergien.

Welchen Einfluss hatte die Pandemie auf deine Zeit an der ETH Zürich?

(Tobias) Meine Zeit hier begann offiziell im April 2021. Da die Zahl der Covid-Fälle in Wien im Februar/März gestiegen war, musste ich spontan etwas früher als geplant nach Zürich reisen, um eine Quarantäne zu vermeiden. Die Einschränkungen und die Fallzahlen in Zürich waren damals im Vergleich zu Österreich geringer, was das tägliche Leben auch recht entspannt machte. Zum Glück durfte ich auch einige Zeit am Hönggerberg verbringen. Darüber hinaus organisierte die Kaufmann-Gruppe virtuelle Kaffeepausen, was bei der Kontaktaufnahme sehr half.

(Laura) Ich freue mich sehr, hier zu sein, auch wenn dies keine leichte Phase ist. Wir alle erleben jetzt die Covid-Pandemie, die unseren Alltag beeinflusst. Trotzdem kann ich mit Schutzmaßnahmen das Campusleben, die Forschungs- und Laboraktivitäten und die Wunder dieses Landes genießen.

(Lisbel) Natürlich wurde das gesellschaftliche Leben in und außerhalb der Arbeit durch die Pandemie eingeschränkt. Die Tatsache, dass mir trotz Pandemie die Teamatmosphäre an meinem Aufenthalt gefallen hat, zeigt, dass die Gruppe durch neue Technolgien in Kontakt blieb. Obwohl ich viele Kollegen nicht persönlich treffen kann, werden regelmäßige virtuelle Treffen abgehalten, um berufliche und außerberufliche Themen zu besprechen, sodass Sie trotz der bestehenden Einschränkungen Kollegen sehen und von ihnen lernen können.

Laura mit den Kolleginnen der Kaufmann-Gruppe am Ütliberg

Was nimmst du aus dieser Erfahrung mit?

(Tobias) All diese Erfahrungen, die ich an der ETH gemacht und Neues gesehen habe, sind nun in meinem „wissenschaftlichen Rucksack“ verpackt. Ich bin überzeugt, dass dies meine zukünftige Forschung insgesamt verbessern wird. Mein Ziel ist es, zumindest einen Artikel über meine Experimente zu schreiben. Noch wichtiger finde ich jedoch dieses neue Netzwerk, das ich hier aufbauen konnte. Ich denke, dies wird zu erfolgreichen zukünftigen Kooperationen zwischen der ETH Zürich und der TU Wien führen.

(Laura) Die Auslandserfahrungen sind von beruflicher und persönlicher Seite wirklich prägend. Es ist wichtig, andere Kulturen, Lebensstile oder Traditionen zu kennen, um eigene und neue Facetten zu entwickeln, zu entdecken und zu schätzen. Hier an der ETH Zürich ist das einfacher, denn es ist wie eine kleine Stadt, in die Studierende aus allen Teilen der Welt kommen, um zu lernen und zu teilen.

(Lisbel) Diese Zusammenarbeit hat es mir ermöglicht, neue Leute zu treffen, die in meinem Forschungsgebiet tätig sind, was ich in Zeiten ohne Konferenzen zum Netzwerken sehr schätze. Der Aufenthalt an der ETH wird meinen Lebenslauf bereichern, ohne dabei meine Heimatuniversität abwerten zu wollen, da ich der Meinung bin, dass das an der UPV erworbene Wissen andere hoch angesehene Universitäten ebenwürdig ist. Andererseits haben die Arbeiten während dieses Aufenthaltes zu sehr interessanten Forschungsergebnissen geführt und eine Verbindung zwischen meiner Heimatuniversität und der ETH geschaffen, die zukünftige Kooperationen begünstigen könnte.

Tobias und seine Frau Letti beim Wandern am Monte Brè

Was war einzigartig während deiner Zeit an der ETH Zürich?

(Tobias) Die sehr hilfsbereiten und netten Leute hier am IBK und generell in der Schweiz. Ich würde mich freuen, mit meinen neuen Kollegen über die Jahre in Kontakt zu bleiben – nicht nur für Forschungsaspekte.

(Laura) Die Verbindung zwischen der Stadt Zürich und den Grünflächen. Auch hier, auf dem Hönggerberg, gibt es einen fantastischen Kontrast zwischen der Innovation und Technologie der ETH und der ländlichen Umgebung draußen.

(Lisbel) Die Menschen, die ich hier kennengelernt habe und die tollen Orte, die ich in der Schweiz besucht habe. Trotz des kurzen Aufenthalts habe ich das Gefühl, Freunde fürs Leben gefunden zu haben, mit denen ich meinen zukünftigen Doktortitel in Zürich oder in Valencia feiern kann.

Lisbel mit Kolleginnen beim Paella-Tag

Welcher kultureller Unterschiede warst du dir nicht bewusst?

(Tobias) Ich wusste, dass Fondue in der Schweiz ein Nationalgericht ist und ich habe es mir oft schmecken lassen. Was ich nicht wusste ist, dass es üblicherweise nur in der kalten Jahreszeit gegessen wird. Immer wenn ich einem Schweizer erzählte, dass ich Fondue gegessen habe, meinten sie, dass es eigentlich nicht die richtige Jahreszeit dafür sei, außer im Kanton Wallis ;-).

(Laura) Auch an Werktagen nach Büroschluss können die Menschen Freizeit und Freiraum genießen: Wanderungen, Spaziergänge um den See, Freizeitaktivitäten werden perfekt in den Alltag integriert.

(Lisbel) 1. Die Leidenschaft fürs Wandern und wie fit die Menschen deshalb sind, was bei diesen beeindruckenden Landschaften durchaus verständlich ist. 2. Die Mittagszeit gegen 12 Uhr statt 14 Uhr, was ich am Ende viel besser fand. 3. Die Schweizer anfangs nicht sehr offen ercheinen, sich aber nach nur einem einzigen Treffen ausserhalb der Arbeit die Beziehung zu einer wirklich guten Freundschaft wandelt.

Laura in Lugano

Tobias Huber, Laura Esposito und Lisbel Rueda García