Innovation für den Brückenentwurf: Das Potential von KI-gestützter Tragwerksplanung

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Link zu der deutschen Version: Innovating Bridge Design: Exploring the Potential of AI-Augmented Structural Engineering


Brücken sind wichtige Infrastrukturelemente, die Gemeinden miteinander verbinden, den Verkehr begünstigen und zur wirtschaftlichen Entwicklung beitragen. Der Entwurf und Bau von Brücken erfordert eine sorgfältige Planung und technisches Fachwissen, um Sicherheit, Effizienz, Ästhetik und auch Dauerhaftigkeit zu gewährleisten. Bislang war dieser Prozess in hohem Masse von menschlichem Fachwissen und manuellen Iterationen über mehrere Teams hinweg abhängig, was zu einem langwierigen und weitestgehend starren Entwurfsprozess führte. Die jüngsten Fortschritte im Bereich der künstlichen Intelligenz (KI) haben bereits viele Forschungs- und Industriebereiche transformiert und haben zudem das Potenzial, die Art und Weise zu revolutionieren, wie Ingenieure Strukturen konzipieren, analysieren und optimieren.

An unserer Professur arbeiten wir an der Integration von modernen KI-Algorithmen in das konstruktive Ingenieurwesen. Konkret befasst sich unser laufendes Forschungsprojekt “Domain-Aware-AI Augmented Design of Bridge Structures (DAAAD_Bridges)” mit der Implementierung von generativen KI-Algorithmen für die Anwendung im Brückenbau. Zusammen mit dem Swiss Data Science Center entwickeln wir eine Deep-Learning-basierte Software-Toolbox, die als Co-Pilot in frühen Entwurfsphasen fungieren und die Stärken der KI und des Menschen kombinieren soll.

In der heutigen Praxis wird Simulationssoftware (z.B. Finite-Elemente-Software) zur Qualitätsevaluation von Entwürfen eingesetzt. Zu den wichtigen Entwurfszielen gehören Sicherheit, Gebrauchstauglichkeit, Nachhaltigkeit, Baubarkeit und Kostenminimierung. Eine detaillierte und genaue Entwurfsbewertung mit Hilfe von Simulationssoftware wird jedoch bei komplexen und hochdimensionalen Entwurfsproblemen wie Brückenbauwerken rechenintensiv. Daher ist der Einsatz moderner Simulationssoftware zeitaufwändig oder sogar unbrauchbar, wenn es darum geht, mehrere Entwurfsalternativen in einer frühen Entwurfsphase effizient zu untersuchen und zu vergleichen (siehe Abbildung 1). Die früheren Entwurfsentscheidungen sind jedoch massgeblich und erfolgsentscheid für das gesamte Bauprojekt.

Abbildung 1: Status-quo-Entwurfsansatz: Vorwärts Entwurfsiteration.

Wir stellen uns diesen Herausforderungen und formulieren den aktuellen Entwurfsprozess neu und unterstützen ihn mit datenbasierten Erkenntnissen, vgl. Abbildung 2. Wir konzentrieren uns auf Brückendesigns, die eine parametrisch Darstellung besitzen und entwickeln Deep-Learning-Modelle, die als approximative Ersatzmodelle für die Vorhersage der Qualität eines definierten Designs (“Vorwärtsdesign”) fungieren, und zusätzlich die Generierung von leistungsstarken Designalternativen ermöglichen, welche geforderte Qualitätsanforderungen erfüllen (“Inversdesign”). Das Forward-Design-Model nimmt die Entwurfsattribute (z.B. Trägerhöhe, Anzahl der Pfeiler, Materialfestigkeit, etc.) als Eingabe und approximiert die Qualität (z.B. strukturelle Ausnutzung, Treibhauspotential, Kosten, etc.) des definierten Designs. Das inverse Modell ermöglicht auf innovative Weise die Generierung einer Reihe von Entwurfsalternativen auf der Grundlage von (selbstdefinierten) Entwurfszielen und -beschränkungen (z.B. Budget, strukturelle Ausnutzungsbeschränkung, lichte Höhe, usw.).

Abbildung 2: Vorgeschlagene Mehrfachabfrage mit erklärbarem Design-Metamodell, das Vorwärts- und Inversdesign ermöglicht.

Wir haben eine Variante eines Conditional Variational Autoencoders (CVAE) abgeleitet (vgl. Abbildung 3), welche die Grundlage für die Entwurfsmetamodelle bildet. Der CVAE kann auf einem Datensatz von existierenden und/oder synthetisch erzeugten Brückenstrukturen trainiert werden. Während des Trainings werden die Modellparameter des CVAEs an die Trainingsdaten gefitted, indem die in Abbildung 3 definierte Verlustfunktion minimiert wird. Der Encoder lernt die Abbildung des euklidischen Vektors x auf den entsprechenden Leistungsvektor ŷ (Vorwärtsdesign). Zugleich lernt der Decoder, neue Deisgnattribute x̂ unter Berücksichtigung des gewählten Designzielvektors y zu erzeugen (Inversdesign). Im Anschluss an das Training wird das Modell anhand von einem Testdatenset evaluiert, welches aus Brückenstrukturen bestehen, die das Modell noch nicht zuvor gesehen hat. Da neuronale Netze vollständig differenzierbar sind, nutzt die CVAE ausserdem die automatische Differenzierung (AD) zur effizienten Berechnung der Ableitungen von den Qualitätskennwerte nach den Entwurfsvariablen (d.h. dy/dx) für eine anschliessende lokale Sensitivitäts- oder Unsicherheitsanalyse.

Abbildung 3: CVAE-Architektur einschliesslich der Verlustfunktion [1].

In einer Pilotstudie mit Basler & Hofmann wurden die entwickelten Werkzeuge auf die Projektsituation einer Fussgängerbrücke in St. Gallen angewendet [2]. Mit Hilfe von Dynamo in Revit und SOFiSTiK wurde ein Datensatz für die vorliegende reale Projektsituation generiert, auf dessen Basis der CVAE trainiert wurde. Im Projekt wurde ebenfalls eine erste Version einer grafischen Benutzeroberfläche für die Interaktion zwischen Brückeningenieur:innen und dem KI-Modell entwickelt, vgl. Abbildung 4. Es konnte gezeigt werden, dass mit dem CVAE sowohl die vorwärtsgerichteten als auch die inversen Abbildungen genau erlernt werden können und die Vorhersage der Entwurfsqualität (inkl. strukturelle Ausnutzung, Materialvolumen und Kosten) sowie die bedingte Entwurfsgeneration in Echtzeit möglich sind. Das Modell ermöglicht daher eine schnelle Untersuchung einer grossen Anzahl von Entwurfsalternativen und die Ermittlung optimaler Entwürfe, die die vorgegebenen Designziele erfüllen. Durch die Anwendung von Sensitivitätsanalysen liefern die trainierten Modelle ein Verständnis für die Abhängigkeiten der Designqualitäten von den Designattribute in den hochdimensionalen Entwurfsräumen und ermöglichen die Ableitung von Entwurfsregeln für die analysierten Strukturen. Das Tool kann daher wichtige Entscheidungen in der Konzeptionsphase eines Bauprojektes unterstützen und so Strukturen fördern, die sich durch Effizienz, Wirtschaftlichkeit und Umweltverträglichkeit auszeichnen. Die Einschränkung besteht darin, dass der Aufbau der Datengenerierungspipeline, die Datengenerierung und der Trainingsprozess selbst (d.h. die Offlinephase, vgl. Abbildung 2) einen erheblichen Zeitaufwand erfordern. Daher sollten die datengestützten Entwurfsmodelle so allgemein wie möglich anwendbar erstellt werden, was zum Beispiel durch die Erweiterung der Trainingsdatenbank um mehrere Projektsituationen und Brückenbauwerkstypen erreicht werden kann. Die Studie zeigt ausserdem die Notwendigkeit und das Potenzial systematischer und detaillierter Datenbanken, welche die geplanten und gebauten Strukturen von heute und morgen enthalten.

Abbildung 4: Prototyp einer grafischen Benutzeroberfläche in Dynamo (Revit), entwickelt für ein Fussgängerbrückenprojekt [2].

Die sich in der Entwicklung befindende Software-Toolbox ist strukturunabhängig anwendbar und kann daher ein breites Spektrum parametrischer Entwurfsprobleme unterstützen. Die breite Anwendbarkeit unseres Ansatzes demonstrieren wir mit einigen Anwendungsstudien, zum Beispiel des Entwurfes von Stahl- und Holzgitterschalentragwerken in Zusammenarbeit mit der Digital Structures Gruppe des MITs [3] und der Holzverbindungsbemessung mit der Holzbaugruppe der ETH. Klingt spannend? Fühlen Sie sich eingeladen, einen Blick auf die Projekt-Webseiten zu werfen oder uns zu kontaktieren, wenn Sie daran interessiert sind, unsere Toolbox in Ihrem Forschungsprojekt oder Ihrem laufenden Projekt in der Industrie einzusetzen.


Sophia Kuhn

Literatur

[1]Kuhn, S. V., Hodel, A., Bischof, R., Balmer, V. M., Pérez-Cruz, F. , Kaufmann, W. , Kraus, M. A. (2023), Assessment and Integration of Sustainability and Circularity Metrics within Generative Bridge Design, EG-ICE 2023, London.
[2]Balmer, V. M., Kuhn, S. V., Bischof, R., Salamanca, L., Kaufmann, W., Pérez-Cruz, F., Kraus, M. A. (2022). “Design Space Exploration and Explanation via Conditional Variational Autoencoders in Meta-Model-Based Conceptual Design of Pedestrian Bridges.” arXiv. https://doi.org/10.48550/arXiv.2211.16406
[3]Fang, D., Kuhn, S. V., Kaufmann, W., Kraus, M. A., Mueller, C. (2023), Quantifying the influence of continuous and discrete design decisions using sensitivities. Advances in Architectural Geometry 2023, Stuttgart.

Links

https://mkrausai.github.io/research/01_SciML/01_BH_PedestrianBridge_XAI/

https://designplusplus.ethz.ch/research/domain-aware-ai-augmented-design-of-bridge-structures–daaadbrid.html