Fib – eine Brücke zwischen Forschung und Praxis

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Der fünfte Betontag wurde kürzlich an der Hochschule für Technik und Architektur Fribourg HTA-FR durchgeführt. Zu diesem Anlass widmet sich der aktuelle Blogpost der Schweizer Delegation der Fédération internationale du béton (fib-CH). In einem Interview haben wir uns mit Herrn Thierry Delémont, dem Delegationsleiter der fib-CH, und Herrn Dr. Patrick Valeri, seit kurzem Delegationsmitglied und Vorsteher der fib-CH Young Members Group, unterhalten. Sie stellen uns die Organisation, ihre Aufgaben und Ziele vor.

Das Comité Européen du Béton (CEB) und die Fédération Internationale de la Précontrainte (fip) schlossen sich 1998 zur heutigen Fédération internationale du béton (fib) zusammen. Das CEB, gegründet 1953 mit dem Ziel der Vereinheitlichung der Bestimmungen im Bauwesen auf europäischer Ebene, publizierte 1964 ihre ersten Empfehlungen für ein Normenwerk. In Zusammenarbeit mit der fip folgte dann 1978 die Publikation «International System of Unified Standard Codes of Practice for Structure», welche später die Grundlage für den Eurocode für Stahlbetonbauten bildete. Seit 1985 liegt der Sitz des CEB (und der heutigen fib) an der EPF Lausanne.

Was ist die Rolle der Schweizer Gruppe (fib-CH) innerhalb der fib?

Thierry Delémont: Die Schweiz hat bei der Gründung des CEB und der fib eine führende Rolle gespielt. In dieser Funktion bleibt sie trotz der Kleinheit unseres Landes ein wichtiger Akteur in der Organisation. Die strategischen Entscheidungen des fib werden jährlich im “Technical Council” und an der “General Assembly” getroffen. Mit drei Delegierten ist die Schweiz eines der am stärksten vertretenen Länder. Die fib-CH will die Ziele der fib auf nationaler Ebene vorantreiben: Förderung der Forschung im Bereich Betonbau, Verbreitung von Forschungs- und Entwicklungsergebnissen, Organisation von Kongressen, Symposien und Workshops, Erarbeitung von Empfehlungen auf nationaler und internationaler Ebene, Information der Mitglieder über die neusten Entwicklungen.

Unser Ziel ist es, eine Verbindung zwischen Berufseinsteigern und erfahrenen Ingenieur:innen herzustellen, damit die junge Generation auch eine aktive Rolle im Verband spielen kann.

Herr Valeri, Sie sind der fib während Ihres Doktorats beigetreten und haben da den Vorsitz der Schweizer fib Young Members Group (YMG) übernommen. Was ist die Funktion der YMG? Wer kann Mitglied werden? Hat sie ihre eigene Agenda und Ziele mit eigenen Prioritäten gegenüber dem Rest der fib?

Patrick Valeri: Die Kerninteressen der YMG sind der Wissenstransfer, das Networking, die Unterstützung der Task-Groups und die Organisation von Symposien. Unser Ziel ist es, eine Verbindung zwischen Berufseinsteigern und erfahrenen Ingenieur:innen herzustellen, damit die junge Generation auch eine aktive Rolle im Verband spielen kann. Laut Tomaž Ulaga, Mitglied der Schweizer Delegation, war es vor einigen Jahrzehnten Tradition, dass jeder Ingenieur / jede Ingenieurin Mitglied von mindestens einem Fachverband war. Heutzutage nimmt der hektische Berufsalltag sehr viel Zeit in Anspruch, und die Zahl der Verbandsmitglieder verringert sich stetig. Die YMG versucht diesem Trend entgegenzusteuern.

Veranstaltungsort des fünften fib-CH Betontags war die Hochschule für Technik und Architektur Fribourg HTA-FR.

Am 25. Oktober 2022 fand an der Hochschule für Technik und Architektur in Fribourg der fünfte fib-CH Betontag statt. Seit wann wird dieser durchgeführt? An wen ist er gerichtet und welche Ziele hat er?

Thierry Delémont: Das Hauptziel ist es, mit der Publikation Betonbau in der Schweiz, das Know-how der Schweizer Ingenieure der internationalen Ingenieurgemeinschaft vorzustellen. Dies, trotz des Fakts, dass nur sehr wenige Schweizer Ingenieure ihre Projekte an den fib-Kongressen vorstellen. In einem zweiten Schritt wird mit dem Betontag ein regelmässig stattfindender Anlass geschaffen, an dem sich die Akteure der Branche treffen und austauschen können.

Patrick Valeri: Die Publikation erscheint im Vierjahrestakt, sprich im selben Rythmus wie der fib-Kongress, welcher ebenfalls alle vier Jahre stattfindet. Zudem stellt der Betontag eine Verbindung der Schweizer Delegation der fib mit der fib-International her und erhält sie aufrecht.

Eine Auswahl der wichtigsten Betonbauprojekte wird in der Publikation Betonbau in der Schweiz vorgestellt und am folgenden Betontag präsentiert. Eine der ersten Schweizer Publikationen, Spannbeton in der Schweiz, kam als Sammlung Schweizer Beiträge vom siebten fip Kongress 1974 zustande. In dieser Publikation ist ein Beitrag zum Entwurf und Bau des Viadukts über die Paudèze zu finden, und in der diesjährigen Ausgabe wurde die Erweiterung und Sanierung des Bauwerks vorgestellt. Der Betontag und die Publikationen tragen so zu einer Baukultur mit hoher Qualität in der Schweiz und deren Aufrechterhaltung bei.

(a) Sammlung der Beiträge anlässlich des siebten fip-Kongresses in New York von 1974 mit (b) einem Beitrag zum Entwurf und Bau des Viadukts über die Paudèze und (c) dessen Instandsetzung, vorgestellt am fib-Kongress 2022 in Oslo und am Betontag 2022 in Fribourg.

Welche Bedeutung hat dieser Betontag für Sie beide persönlich? Wieso nehmen Sie daran teil?

Thierry Delémont: Dieser Anlass ist immer eine gute Gelegenheit, Kollegen zu treffen, denen man nicht regelmässig begegnet, und neue Bekanntschaften zu schliessen. Es bietet auch die Möglichkeit, Projekte aus anderen Regionen der Schweiz zu entdecken, von denen man sonst nicht hören würde. Ich hatte die Gelegenheit, bei einer früheren Veranstaltung ein Projekt vorzustellen, doch heute nehme ich als Organisator teil.

Patrick Valeri: Der Betontag hat für mich verschiedene Funktionen. Zum einen, ist er eine Drehscheibe, um neue Verbindungen zu knüpfen und bestehende Bekanntschaften aufrecht zu erhalten und zu pflegen. Idealerweise treffen sich hier Planer, Unternehmer, Bauherren und Studierende, um sich informell austauschen zu können. Dieser Austausch fördert Innovation und Qualität in der Projektierung und bei der Realisierung. Zum anderen können wir uns auch von den Vorträgen inspirieren lassen, wobei wir einen Überblick bekommen, wo wir als Gesellschaft gerade hinsteuern, und an welchen Themen wir noch arbeiten müssen.

Wie hat sich die fib-CH Gruppe und die Schweizer BauIngenieur:innen-Gesellschaft im Allgemeinen über die letzten paar Jahrzehnte hinweg entwickelt? Und wohin will man sich weiterentwickeln?

Thierry Delémont: Aus persönlicher Sicht bedauere ich, dass die Mehrheit der praktizierenden Bauingenieur:innen in der Schweiz nicht besonders daran interessiert ist, sich über Verbände wie die fib am internationalen Austausch zu beteiligen. Wahrscheinlich ermutigt die privilegierte Situation der Schweiz die Ingenieur:innen nicht, sich im Ausland zu engagieren. Im Gegensatz dazu sind die beiden technischen Hochschulen und einige Fachhochschulen sehr aktiv, was auf die Initiative ihrer Professor:innen zurückzuführen ist, die viel stärker für die Bedeutung des internationalen Austauschs sensibilisiert sind. Es wäre daher wünschenswert in Zukunft mehr praktizierende Bauingenieur:innen aus der Schweiz davon zu überzeugen, sich in fib-Arbeitsgruppen zu engagieren, da sie dort nicht nur viel beitragen, sondern auch viel lernen können.

Wo sehen Sie noch Verbesserungspotenzial im Austausch und in der Zusammenarbeit auf internationaler Ebene und zwischen Industrie und Forschung?

Patrick Valeri: Durch die Digitalisierung haben wir in den letzten Jahrzehnten eine allgemeine Beschleunigung unserer Gesellschaft erlebt. In meinen Augen kann dies, unter Umständern zu einer Spaltung zwischen Forschung und Praxis führen, denn Normen, Richtlinien und marktreife Produkte können nicht immer auf dem letzten Stand des Wissens sein. Hinzu kommt, dass in der Praxis (Projektierung, Produktherstellung) und Forschung nicht immer die gleichen Ziele verfolgt werden – weil hier andere Markt- und Finanzkräfte im Spiel sind.

Die fib-International besteht aus Hochschulprofessor:innen und Ingenieur:innen die in Forschung, Projektierung und Produktentwicklung tätig sind. Die Zusammenarbeit dieser Leute, die sich an einen gemeinsamen Tisch setzen, versucht, der Spaltung von Forschung und Praxis entgegenzusteuern. Dazu haben wir zwei Mechanismen: zum Einen können neue Forschungsarbeiten auf die Praxisanforderungen und Markterwartungen zugeschnitten werden. Und zum Anderen kann die Vielzahl an wissenschaftlichen Publikationen in praxistaugliche Richtlinien transformiert werden (fib Bulletins). In diesem Sinne bildet die fib einen internationalen Arbeitsrahmen, damit Forschung und Praxis synergetisch zusammenarbeiten können.

Wir leben in einer globalisierten Welt mit Problemen, die den ganzen Planeten betreffen. Auch die Lösungen müssen auf globaler Ebene gedacht werden, und es wird immer wichtiger, Kontakte mit der gesamten internationalen Gemeinschaft der Ingenieure zu fördern, z.B. durch Verbände wie die fib.

Meine Kolleg:innen nehmen dieses Jahr zum ersten Mal am Betontag teil. Das ist für einige von Ihnen der erste Kontakt mit der fib. Wie wichtig ist es, dass sich vor allem jüngere Ingenieur:innen aktiv engagieren?

Patrick Valeri: Aus miener Sicht ist es aus mindestens zwei Blickwinkeln wichtig ist, dass sich die junge Generation aktiv in einem Verband engagiert. Erstens wird die bestehende Generation in Zukunft kürzer treten und in den Ruhestand gehen. Je früher wir als junge Ingenieure einem Verband beitreten, desto länger können wir diese Transitionsphase ausdehnen – und in dieser Zeit viel voneinander lernen. Zum Zweiten ist Verbandsarbeit auch mehr oder weniger das Gegenteil von unserem beruflichen Alltag, wo Projekte abgewickelt und abgeschlossen werden. In der fib, wie auch in anderen Fachverbänden, können wir unser Projektwissen in einem strukturierten Rahmen mit unseren Kolleg:innen teilen, um künftig davon zu profitieren. In diesem Sinne ist unsere Arbeit für einen Verband projektübergreifend und eine inspirierende Abwechslung zum Projektalltag.

Thierry Delémont: Wir leben in einer globalisierten Welt mit Problemen, die den ganzen Planeten betreffen. Auch die Lösungen müssen auf globaler Ebene gedacht werden, und es wird immer wichtiger, Kontakte mit der gesamten internationalen Gemeinschaft der Ingenieure zu fördern, z.B. durch Verbände wie die fib. Deshalb bietet die YMG jungen Ingenieur:innen eine hervorragende Möglichkeit, sich mit Kolleg:innen aus verschiedenen Ländern auszutauschen und gleichzeitig Vorschläge zu machen, die von der gesamten fib gehört werden.

Ein letztes Thema würde ich gerne noch ansprechen – es ist eins das mich persönlich stark beschäftigt: die Nachhaltigkeit in der Baubranche. Die Baubranche hat einen enormen CO2-Fussabdruck. Gemäss dem Bundesamt für Umwelt (BAFU) haben alleine die  Treibhausgasemissionen der Zementherstellung einen Anteil von 35 % an den Industrieemissionen – dies entspricht rund 8.7 % der Schweizer Gesamtemissionen (Stand 2020, BAFU). Prof. Muttoni hat die Dringlichkeit im Schlusswort am Betontag deutlich zum Ausdruck gebracht. Was haben Sie von diesem Schlusswort mitgenommen und was würden Sie gerne mit der Leserschaft hier teilen?

Patrick Valeri: Es ist ein Thema, das uns alle betrifft und bewegen sollte. Im Kern appelliert Prof. Muttoni an uns Bauingenieure, Ressourcen intelligent zu nutzen und innovativ zu sein. Eines seiner genannten Beispiele waren Decken: ein Deckensystem aus Stahlbeton mit niedrigem Zementgehalt, mit bedachter Wahl der Zementart, statisch sinnvoller Geometrieführung und recycelten Baustoffen, insbesondere des Betonstahls, hat einen vergleichbaren CO2 –Fussabdruck wie eine Holzdecke. Mit Optimierungen kann man durchaus 80% kg CO2-Äquivalent einsparen, was beträchtlich ist. Holztragwerke liegen auch voll im Trend. Man soll dabei aber nicht vergessen, dass Holz begrenzt verfügbar ist und in seiner Funktion den Beton nicht ersetzen kann. Das ist der Fall bei den meisten Strassen- und Bahnbrücken, Stützbauwerken, Erdbebenaussteifungen von Hochhäusern und dergleichen, um nur wenige Beispiele zu nennen. Dennoch, der Trend hin zu hybriden Stahlbeton-Holztragwerken im Hochbau ist erfreulich. Die fib selbst unterstützt diesen Trend aktiv: am Conceptual Design Symposium 2021 in Attisholz wurden mehrere Beiträge zum Entwurf von Holz- Betonhybridbauwerken vorgetragen, wie beispielweise der Holliger Tower präsentiert von Dr. Neven Kostić (siehe Video).

Was vom Schlusswort auf jeden Fall auch nachhallen sollte, sind die Gesamtleistungswettbewerbe als Mittel für mehr Nachhaltigkeit. Sie bieten sich als Methode zur Projektoptimierung an, und bieten Raum für Innovation und Materialeinsparungen. Wichtig wäre, dass in ihnen auch die Ökobilanz bewertet und berücksichtig würde. In diesem Sinne müssen aber alle Involvierten, also die Bauherren, Ingenieure, Bauunternehmer und Zementhersteller auf ein nachhaltigeres Ziel, sowie innovative und effiziente Lösungen hinarbeiten.

Tena Galkovski

Zu den Interviewen:

Thierry Delémont
Ing. Civ. Dipl. EPF / SIA
Delegationsleiter fib-CH
Managing director at T ingénierie sa

Dr. Patrick Valeri
MSc ing. civile PoliMi / SIA
Delegationsmitglied fib-CH
fib YMG-CH Vorsteher
Projektleiter Dr. Lüchinger+Meyer Bauingenieure AG